Vom Umwelttabu zur Ignoranz des Marktes


Im Sommer 1992 arbeitete ich in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen Liga in Berlin, damals noch ansässig im Haus der Demokratie in der Berliner Friedrichstraße. Eines Tages lag eine Einladung auf dem Tisch. Ein Treffen von Umweltschriftstellern fand statt, in Chorin in der Schorfheide. Es war Sommer, ich hatte Lust auf Abwechslung vom grauen Büroalltag, die Einladung klang interessant, nur war ich kein Schriftsteller. Was tun?

Eigentlich war ich gut auf solch eine Tagung vorbereitet. Natürlich hatte ich „Der stille Grund“ von Lia Pirskawetz gelesen, allgemein an Literatur interessiert, auch das verfolgt, was zum Thema Umwelt in der DDR erschien. „Zurück zur Ökologie“ von Ernst Paul Dörfler war quasi mein „Erweckungserlebnis“ in Sachen Ökologie. Ich begann, ab Mitte der 80er Jahre die Veranstaltungen der IG Stadtökologie in Berlin-Köpenick zu besuchen. Als diese 1988 eine Ökokirmes veranstaltete und 5000 Besucher kamen, war der Saal, wo Hannelore und Reimar Gilsenbach auftraten, so überfüllt, dass wir mit unseren kleinen Kindern auf dem Arm es nur bis zur Tür schafften. An ein Reinkommen war nicht zu denken.
Ich besuchte zu dieser Zeit auch eine Veranstaltung in der Berliner Stadtbibliothek, wo Schriftsteller zu Umweltthemen lasen. Im Anschluss wechselte ich ein paar Worte mit Lia Pirskawetz. Erst später erfuhr ich, dass es bereits seit 1981 mit den „Brodowinern Gesprächen“ Treffen von umweltengagierten Autoren und Wissenschaftlern gab. Das Thema Umwelt in den 80er Jahren in der DDR in die Öffentlichkeit zu bringen, war ein Kampf und vielfach mit Konflikten verbunden. Erst in der Wendezeit konnte ich als Redakteurin bei ADN ungehindert über Umwelt, Wissenschafts- und Bildungsthemen berichten.

Das war die Idee! Als Schriftstellerin konnte ich mich in Chorin wohl kaum anmelden, doch als Journalistin, die über das Treffen berichten will, das war sicher möglich. Und so fuhr ich Ende September 1992 bei schönstem Herbstwetter in die Schorfheide. Die Tagung stand ganz unter dem Eindruck der sich rasant wandelnden Gesellschaft. „Vom Umwelttabu zur Ignoranz des Marktes“ hieß mein Bericht, der später im Berliner „Grünstift“ erschien. Dazu ein Interview mit Lia Pirskawetz, der Sprecherin des Arbeitskreises. Matthias Platzeck, zu dieser Zeit Umweltminister in Brandenburg, eröffnete die Tagung und meinte damals, die Marktwirtschaft sei ein ökologisches und soziales Auslaufmodell. Michael Succow berichtete von der Ausplünderung Russlands und Osteuropas durch Reiche und Starke aus vielen Ländern. Es ging um Umweltethik und Umweltsprache, aber auch um die Schaffensbedingungen von Autoren, die anders, aber nicht einfacher geworden waren. Die zur Tagung gehörige Exkursion führte durch die Schorfheide, seit 1990 durch das Nationalparkprogramm als Biosphärenreservat geschützt. Dann ein Besuch bei Reimar Gilsenbach in Brodowin auf seinem weitläufigen Grundstück. Natürlich kannte ich seine Bücher, wusste von dem frechen und berührenden Liederprogramm, mit dem er und Hannelore Gilsenbach in den letzten DDR-Jahren vielerorts aufgetreten und Umweltprobleme mutig angesprochen hatten.

Der ersten Tagung des Arbeitskreises LITERATUR UM WELT in Chorin folgten viele weitere, an denen ich teilnehmen konnte, immer spannende Orte, spannende Themen, spannende Diskussionen und Gesprächspartner. Ab 2003 war der Verein FÖN mit dem Arbeitskreis und später der Ökofilmtour im Haus der Natur in Potsdam ansässig, für das ich seit 2002 als Geschäftsführerin tätig war. Aber das ist eine neue Geschichte, vielleicht für das nächste Jubiläum.

Regine Auster