Der bleifreie Schuss


Es war eine spannende Geschichte, für die ich mich seit Ende 2004 interessierte. Sie handelte von Seeadlern, Brandenburgs Wappenvögeln und Mitteleuropas größten Greifen, streng geschützt, zugleich aber in Gefahr. Immer mehr von ihnen verendeten an Bleivergiftungen.
Beim Recherchieren dieses Phänomens stieß ich auf das Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Dort hatten Wissenschaftler bereits seit 1995 nach den Ursachen für die hohe Sterberate der Seeadler gesucht und sie auch gefunden. Durch Zufall entdeckten sie in den Mägen der toten Vögel viele Bleisplitter. Mit ihrer Beute - angeschossene Wildenten und Gänse oder angeschossene Rehe und Wildschweine - nehmen die Seeadler diese giftige Fracht auf. Die großen Bleisplitter landen im Gewölle, die kleinen bleiben in den Schleimhautfalten des Magens hängen. Dessen saures Milieu und Enzyme sorgen u.a. dafür, dass die Bleiionen in die inneren Organe und das Nervensystem gelangen und sie schädigen. Es kommt zum Zelltod, zu Erblindungen, Koordinationsschwierigkeiten und zu einem qualvollen Dahinsiechen. Außerdem konnten die Biologen vom IZW nachweisen, dass nahezu alle Bleivergiftungen von Oktober bis Februar vorkommen, also während und nach der Hauptjagdsaison. Bleifreie Patronen gab es bereits in den Spezialgeschäften.
Unter dieser Beweislast verordnete Brandenburg als erstes Bundesland im April 2005 ein Bleiverbot für Jagden in seinen Wäldern. Cornelia Behm, Brandenburgs Grüne Bundestagsabgeordnete, wollte aber mehr. Sie organisierte im Juli 2005 ein Hearing zum Seeadlersterben durch bleihaltige Munition. Dazu lud sie Jäger, Förster, Biologen und Naturschützer ein. Als Vertreterin unseres Vereins gehörte auch ich zur Runde. In der Diskussion wurde schnell klar, Aufklärung tat Not für dieses bisher unterschätzte Vogelschutzproblem ebenso wie rasche politische Entscheidungen zum Erhalt der Seeadlerpopulation.

Deshalb bemühte sich die Medienwerkstatt von FÖN um Fördermittel für eine filmische Dokumentation. Drei Jahre hat es gedauert, bis die Finanzierung stand, bis Gelder vom Brandenburger Umweltministerium und der Heidehofstiftung Stuttgart flossen. Bei Drehbeginn standen wir allerdings vor einer völlig unerwarteten Situation. Infolge eines Jagdunfalls mit bleifreier Munition im Bereich der Potsdamer Oberförsterei im Dezember 2006 und unter dem Druck der Jagdlobby verbot das Brandenburger Agrarministerium die Jagd mit bleifreier Munition ab Sommer 2008 wieder. Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Berlin hielten dem Druck stand und blieben bei bleifreien Jagden in ihren Landeswäldern.
Für mich als Regisseurin und Kameramann Peter Näther war das Anlass, alle vorher gesammelten Fakten noch einmal gründlich zu überprüfen und den Abbruch des „Bleifreiversuchs“ in Brandenburg kritisch und sachlich zu beleuchten. Unterstützt haben uns dabei Mitarbeiter des Landesumweltamtes, Förster, Jäger, Munitionsexperten und Kommunikationswissenschaftler der FU Berlin. Dr. Oliver Krone vom IZW Berlin stellte uns sogar Filmmaterial zur Verfügung von Kollegen aus Japan und Amerika, wo Riesenseeadler und Kondore qualvoll an Bleivergiftungen starben. Der Kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger verhängte ab Sommer 2008 ein generelles Bleiverbot im Verbreitungsgebiet des Kondors.
Am 17.April 2009 erlebte unser Film auf einer Fachtagung zur nachhaltigen Jagd in der Berliner Max-Planck-Gesellschaft seine Premiere. In der URANIA Berlin, im Potsdamer Haus der Natur und im Nürnberger Tiergarten wurde er ebenfalls gezeigt. 2010 lief die Dokumentation außerhalb des Wettbewerbs der Ökofilmtour.
Stark nachgefragt waren unsere 250 DVDs. Wir erhielten Bestellungen aus ganz Deutschland, Polen, England, Frankreich und der Schweiz.
Dann wurde es stiller um das Thema in den Medien. Zwar wurden die Bedenken gegen die bleifreien Geschosse ausgeräumt und ihr Verbot im Brandenburger Landeswald im Sommer 2013 wieder aufgehoben. Doch der große Durchbruch blieb aus.
Um so erfreuter waren wir, als der Grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold uns in seiner Mail vom 29. Oktober 2020 mitteilte, dass sich der EU-Umweltausschuss in allerletzter Sekunde durchsetzen konnte mit dem Verbot von Bleimunition in Feuchtgebieten.
Es ist immerhin ein hoffnungsvoller Anfang und ein krönender Abschluss für die FÖN-Produktion „Der bleifreie Schuss - Glückstreffer für den Seeadler“.


Uta Greschner