Wie ich auf den Wolf gekommen bin


Sommer 1996: Entsetzt versuchte der kleine Kranich zu entkommen. Spanisch und deutsch schnatternde Jugendliche rannten im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin hinter ihm her! Gepackt habe dann ich den verzweifelten Vogel. Prompt wurde er vom damaligen BR-Leiter Dr. Eberhard Henne mit farbigen Markierungsringen an den staksigen Beinen versehen und auf den Namen „Sebastian“ getauft! Zuvor hatte FÖN den internationalen Jugendaustausch „Kraniche ohne Grenzen“ angeregt, und ich, damals in der Extremadura lebend, habe ihn für den spanischen Naturschutzverein ADENEX mitorganisiert.

Ein Jahr später ging es für mich wieder in den Nordosten Berlins, um hier für das Biospärenreservat zu arbeiten. 1999 kam eine junge Biologin zu uns und begann ihr Praktikum mit einem skurrilen Thema: Sie wollte die Naturwacht auf die Rückkehr der Wölfe vorbereiten und wurde dafür belächelt! Stante pede habe ich mich in sie verliebt. Heute - 22 Jahre später - ist Gesa Kluth eine der beiden führenden Wolfsforscherinnen Deutschlands.

Doch das erste Wolfspaar aus Polen ließ sich 200 km südlich in der Oberlausitz nieder. Und fort war Gesa! Ich zog Ihr hinterher nach Sachsen. Dort versuchte ich, die Wölfe zu filmen. Aber meine ersten Aufnahmen zeigten junge Wolf-Hund-Mischlinge! Mangels junger Wolfszuwanderer hatte sich eine der ersten Töchter des Ursprungs-Wolfspaares mit einem herumstreunenden Hunderüden eingelassen! Weil unerwünscht, wurden die „Hybriden“ eingefangen und weggesperrt.
Erst 2005 haben dann die ersten beiden in Deutschland geborenen Mutterwölfinnen echte Wolfswelpen geboren und aufgezogen. Beide Wolfsfamilien konnte ich filmen. Sie waren 2008 in der NDR-Naturdoku „Wölfe auf dem Vormarsch“ von Holger Vogt für NDR-Naturfilm zu sehen. Noch heute freut es mich, dass der Hauptpreis der Ökofilmtour 2009 zur Hälfte explizit für die seltenen Wolfsfilmaufnahmen ausgewiesen wurde!

Mittlerweile gibt es zahlreiche Wolfs-Fernsehreportagen und -Dokus, in denen einige Wolfsaufnahmen gezeigt werden und in denen aber vor allem unterschiedliche Menschen über die Wölfe reden. Ich möchte den Wölfen eine eigene Stimme geben – indem ich versuche, möglichst viel ihres Verhaltens auf „den Film“ zu bannen. Viele dieser Beobachtungen könnten die Zuschauer ganz ohne Sprachkommentar verstehen, da Wölfe und Menschen sehr ähnliche Familienwesen sind und wir mit Canis lupus in seiner Form als Haushund von klein auf vertraut sind.
Viel Geduld ist nötig, um ungestörte Wölfe in Deutschland zu filmen. Bis genügend aussagekräftige Aufnahmen für einen Dokumentation zusammenkommen, vergehen mehrere Jahre, und immer wieder muss ich auf mein Archiv von 2003 an zurückgreifen. Deshalb sind meine drei Filme „Deutschlands wilde Wölfe – Wie sie wirklich sind“ (NDR 2012), „Familie Wolf – gefährliche Nachbarn?“ (WDR 2017) und „Die Wolfsaga“ (MDR/RBB 2020) die bisher einzigen Naturdokus, die jeweils fast in ganzer Länge das Verhalten wildlebender europäischer Wölfe zeigen. Die letzten beiden Filme entstanden in Zusammenarbeit mit dem gewitzten Naturfilmautoren Herbert Ostwald.
Ich freue mich auf die Teilnahme von „Die Wolfssaga – 20 Jahre Wölfe in Deutschland“ an der Ökofilmtour 2022!

Sebastian Koerner