La Pirouge – Die Piroge


Im Februar 2013 bot sich mir die Möglichkeit, zum 23. Festival Panafricain du Cinéma et de la télévision FESPACO zu reisen, nach Ouagadougou.
Das panafrikanische Film-und Fernsehfestival – Ende der sechziger Jahre durch progressive Filmemacher gegründet – findet seit 1979 alle zwei Jahre statt und hat inzwischen weltweit einen legendären Ruf. Das FESPACO macht die Hauptstadt des westafrikanischen Staates Burkina Faso zur Film- und zur kulturellen Hauptstadt Afrikas. Das Treffen bietet die seltene Gelegenheit, Filme, die sich mit der sozialen und politischen Wirklichkeit afrikanischer Gesellschaften auseinandersetzen, kennen zu lernen. Vor allem aber ermöglicht das Festival den Gedanken-und Erfahrungsaustausch zwischen rund dreitausend Künstlern, Wissenschaftlern und Publizisten aus ganz Afrika.

Ouaga, wie die Einheimischen kurz sagen, mit über zwei Millionen Einwohnern dehnt sich in alle Himmelsrichtungen entlang schnurgerader Hauptstraßen mit ungezählten rotsandigen Querstraßen dazwischen. Verlässt man die City mit Banken, Hotels und Regierungsgebäuden, kommt man an endlosen Reihen ebenerdiger Hütten aus allen denkbaren Baumaterialien vorbei, dazwischen Villen und Grün. FESPACO-Zeit ist Erdbeerzeit, überall sind Obstverkäuferinnen, die die Früchte zu Pyramiden getürmt sicher auf ihren Köpfen balancieren. Die vielen Ampeln werden von den Schwärmen der Mofafahrer respektiert, es gibt kaum Müll, Berliner Hundeexkrementpisten sind unvorstellbar. Die Burkinabé werden die „Preußen Westafrikas“ genannt.

Ein Film beeindruckte mich auf dem Festival ganz besonders: „Die Piroge - La Pirouge“ des senegalesischen Regisseurs Moussa Touré. Pirogen sind bis zu zwanzig Meter lange Holzboote, oft bunt bemalt; sie dienen in Westafrika traditionell der Küstenfischerei. Der Streifen erhielt einen der begehrten Hauptpreise - den bronzenen „Étalon de Yennenga“ – den „Oscar Afrikas“.
In seinem Spielfilm erzählt Touré in packenden Bildern die Geschichte einer Flucht über das Meer. Ziel der dreißig Männer und einer Frau, die sich auf der Piroge zusammendrängen, sind die Kanarischen Inseln: „Bald sind wir im Paradies, in Spanien!“ Sie hoffen, wenn sie ihrem Leben in Unsicherheit und Armut entkommen sind, ihre Träume verwirklichen zu können: Musiker oder Fußballer werden oder in Spanien auf Plantagen Arbeit finden. Sie beten zu Allah und geraten in höchste Not.
Touré schildert in diesem Drama aus senegalesischer Sicht die Geschichte tausender verzweifelter Menschen, die täglich ihre Heimat verlassen. Er veranschaulicht die Gefahren, auf die sie sich einlassen. Sein Blick ist ein anderer Blick als der europäischer Dokumentaristen. Eindrucksvoll werden die unterschiedlichen Gründe, die Menschen zur Flucht bewegen, für die Zuschauer nacherlebbar gemacht. Der Abspann dokumentiert Zahlen: Zwischen den Jahren 2005 und 2010 machten sich etwa dreißigtausend Menschen auf die Fahrt. Mindestens fünftausend von ihnen kamen um.

Es gelang den Veranstaltern, „Die Piroge“ für die Ökofilmtour 2014 in Brandenburg zu nominieren und ihn in zahlreichen Festivalorten zu zeigen. Auch im FÖN- Medienprojekt „Jugendvision“ beeindruckte die Erzählung aus dem „Blickwinkel des Südens“ die Jugendlichen. Bei Filmgesprächen, an denen auch der Germanistikprofessor der Universität in Dakar Maguèye Kassé und der in Berlin lebende senegalesische Medien-Künstler Mansour Ciss Kanakassy als kenntnisreiche Gesprächspartner teilnahmen, konnten die Zuschauer viel von den ökonomischen Zwängen und politischen Verhältnissen erfahren, die Menschen dazu bringen, ihr Leben durch Flucht aufs Spiel zu setzen.
Die Zuschauer der 9. Ökofilmtour bedachten diesen schonungslosen Film mit dem Publikumspreis. So ging die vom Brandenburger Bildhauer und Münzgestalter Gerhard Rommel geschaffene Medaille für diesen Preis nun auf die Reise nach Senegal und wurde Moussa Touré in Dakar als Anerkennung für seinen Film überreicht.

Jutta Schölzel